5 Jahre nach EKAF: tagesschau.de meldet „… Sie stecken niemanden mehr an.“

Mai 20, 2013

Am 30.1.2008 veröffentlichte die Eidgenössische Kommission für AIDS-Fragen (EKAF) in der Schweiz eine Stellungnahme, dass unter wirksamer Therapie HIV-Positive beim Sex nicht mehr infektiös sind.

Heute erinnert ARD-Korrespondentin Sabrina Fritz auf tagesschau.de an die erste Publikation über die Identifizierung des HIV im Wissenschaftsmagazin „Science“  am 20.5.1983 und sie weist auf die  Therapiefortschritte in den zurückliegenden 30 Jahren hin. Dabei informiert sie auch wie folgt:

„Die Behandlung von HIV-Infizierten hat in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. In kaum eine andere Forschung ist aber auch so viel Geld geflossen. Patienten können heute so behandelt werden, dass in ihrem Blut das HI-Virus so gut wie nicht mehr vorhanden ist. Damit können sie ein fast normales Leben führen und was ebenso wichtig ist: Sie stecken niemanden mehr an.“

In der ersten Zeit nach Veröffentlichung der EKAF-Stellungnahme wurde die Bedeutung des Inhalts der Stellungnahme von vielen Seiten klein geredet. Tenor war: Nicht mehr ansteckend?, Das darf man doch nicht laut sagen…

HIV-positive Aktivisten und Blogger jedoch forderten schon 2008, laut und offensiv über diese Therapiefortschritte zu informieren. Sie kritisierten es als undemokratisch, Informationen zurückzuhalten. Es galt, die in der HIV-Prävention bewährte Lernstrategie auch in der neuen Situation fortzusetzen.

Die Verunsicherung in den Aidshilfen und in der HIV-Fachwelt war 2008 groß. Die Welt schien auf den Kopf gestellt. Von der oft beschworenen Solidarität mit Menschen mit HIV war lange nichts zu spüren. Erst 2009 veröffentlichte die Deutsche AIDS-Hilfe ein Positionspapier, das die Relevanz der EKAF-Stellungnahme anerkannte und vertiefte. Inzwischen informiert auch die bundesweite Kampagne zum Welt-AIDS-Tag über die Nichtinfektiosität unter wirksamer Therapie. Im März 2013 schloss sich auch die DAGNÄ (Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter) im Rahmen einer Stellungnahme an.

Auch die Medien in Deutschland schwiegen und es dauerte lange, bis die Information der Nichtinfektiosität unter wirksamer Therapie ein Thema in der Berichterstattung wurde.

So „laut“ ausgesprochen wie heute auf tagesschau.de habe ich es in dem bekanntesten deutschen Nachrichtenprogramm allerdings noch nicht wahrgenommen. Lang hat es gedauert, bis nun auch tagesschau.de Klartext redet. Auf Fortsetzungen darf man gespannt sein.

Weitere Informationen hier als FAQ’s zum Schutz durch Therapie oder ausführlicher in der Broschüre „HIV-Infektion und Therapie 2013


Eine eigene Stimme der Positivenselbsthilfe ist unverzichtbar

November 24, 2012

Die AIDS-Hilfe Leipzig veröffentlichte ihr aktuelles Magazin „Querele“ zum Themenschwerpunkt „EKAF – 4 Jahre danach“ . Für die Querele zog ich folgende persönliche Bilanz:

Die Erkenntnis, unter wirksamer HIV-Therapie beim Sex nicht mehr infektiös zu sein, heilte meine Seele. Beim Lesen der  EKAF-Stellungnahme vom 30.1.2008 spürte ich, wie sehr mein Selbstwertgefühl beschädigt war seit der HIV-Diagnose 1990. Seit damals beherrschte mich das Bewusstsein, eine Gefahr für andere sein zu können. Seitdem änderte sich alles. Endlich fiel diese Last von mir ab. Ich bin nicht mehr auf die Bereitschaft anderer Menschen angewiesen, mit mir ein Risiko einzugehen – denn es gibt keines mehr! Die Kränkung meines Selbstwertgefühls, die trotz selbstbewusstem und emanzipatorisch offenem Umgang mit meiner HIV-Infektion im Verborgenen vorhanden war, löste sich auf. Ich bin von einer bedrückenden Last befreit – und begegne anderen mit neuer frischer Selbstverständlichkeit.

Meine Freude war groß, aber die Erfahrung, dass die AIDS-Fachwelt auf die EKAF-Veröffentlichung mit großen Vorbehalten und teils vehementer Abwehr reagierte, empörte mich. Bei jeder anderen Krankheit werden Therapiefortschritte, die das Leben leichter machen, freudig aufgenommen und kommuniziert – aber bei HIV war es einmal wieder anders! Ich erlebte es als massive Diskriminierung, dass meine Lebensqualität als Mensch mit HIV nicht zählte – und alles der Sorge um weiter wirksame Prävention von Neuinfektionen untergeordnet wurde. Unausgesprochen wurde unterstellt, dass wir Menschen mit HIV mit dem Inhalt der EKAF-Stellungnahme nicht verantwortlich umgehen würden und es zu einem Anstieg der Neuinfektionszahlen kommen könnte. Die Lernstrategie, auf die wir in Deutschland als bewährtes Mittel der HIV-Prävention so stolz sind, wurde aufgegeben. (Lernstrategie beinhaltet, dass der aktuelle Wissensstand unzensiert an die Bevölkerung weitergegeben wird, verbunden mit daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen zur Vermeidung einer HIV-Übertragung und dem Hinweis auf Eigenverantwortung.)

Während in den 1980er und 1990er Jahren Neuigkeiten aus Wissenschaft und Forschung sofort in Aidshilfen lebendige Diskussionen auslösten, um die Spreu seriöser Nachrichten von überzogenen Meldungen zu trennen, erlebte ich nach der EKAF-Veröffentlichung eine erstaunliche Schockstarre: Ein großes Schweigen, große Verunsicherung, keiner traute sich, öffentlich zu werden.

Nur wenige Aktivisten der Positivenselbsthilfe, zu denen auch ich mit meinem kurz zuvor gestarteten Blog „termabox“ gehörte, bezogen Position, exponierten sich, redeten laut und streitbar über die EKAF-Stellungnahme. Am 4.Mai 2008 schrieb ich im Blog: „Way of no return – Die Feststellung der Nicht-Infektiosität ist eine Revolution in der AIDS-Historie.“ Damit sollte ich Recht behalten: Die EKAF-Stellungnahme IST eine Zäsur in der Historie von HIV wie schon zuvor Vancouver 1996, als auf der Welt-AIDS-Konferenz die Einführung wirksamer HIV-Medikamente dem großen Sterben ein Ende bereitete.

Aus der EKAF-Debatte nehme ich die Erkenntnis mit, wie unverzichtbar es ist, dass die Positivenselbsthilfe innerhalb und außerhalb von Aidshilfen eine freie Stimme behalten muss.

Heute, also viereinhalb Jahre nach Veröffentlichung der EKAF-Stellungnahme erlebe ich immer noch, dass Menschen erstaunt sind zu erfahren, dass die wirksame HIV-Therapie den Effekt einer Nicht-Infektiosität auslösen kann. Sie fragen zurecht: Warum hört man darüber nichts?

Auch im heutigen Zeitalter wirksamer HIV-Therapien reagieren Menschen bei einer HIV-Diagnose mit Verzweiflung und massiver Angst, mit HIV kein lebenswertes Leben mehr führen zu können. Unbekannt ist, wie häufig das suizidale Krisen auslöst und Menschen tatsächlich Suizid begehen. Aber genau das geschieht.

Ein offenes Aufklären und Reden über die Fortschritte in der HIV-Medizin ist aus meiner Sicht eine ethisch gebotene Verpflichtung, denn das Wissen um die Möglichkeit der Nicht-Infektiosität bei wirksamer HIV-Therapie ist ein effektiver Beitrag zur Suizidprävention.

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Die  Querele als pdf

Außerdem zum Thema: Deutsche AIDS-Hilfe FAQ’s:  „Schutz durch Therapie“


Selbstverständlich positiv – meine „Positive Stimme“

Januar 27, 2012

Für mich gilt es auch, dieses “positiv – na und?”. Es ist offenbar für viele HIV-Negative wie auch HIV-Positive verstörend, das wahrzunehmen. Aber wenn HIV doch nun einmal seit 22 Jahren meine Realität ist – dann ist das selbstverständlich so.

“Selbstverständlich positiv” ist für mich gleichbedeutend mit “positiv – na und?”

HIV als für mich selbstverständlich zu bezeichnen drückt aus, dass ich meine Realität anerkenne, und mein Bewußtsein meiner Würde und meines Selbstrespektes davon nicht verletzt und beeinträchtigt wird.

In diesem Sinne bin ich “poz&proud”, wie die niederländische Kampagne schwuler HIV-Positiver Männer heisst. Interessant ist, dass in der niederländischen Sprache das Wort “Trotz” dem deutschen “Stolz” entspricht. Stolz auf sein Leben, als schwuler Mann und auch mit oder trotz oder durch HIV zu sein, ist für Massen und Medien immer noch verstörend. Na und? Sie werden es lernen – oder auch eben nicht, was schert es mich!

“Positiv – na und?” drückt für mich Stolz aus, das Leben mit HIV offensiv zu leben und gelebt zu haben – und die gesellschaftliche Erwartung, doch Scham empfinden zu sollen – entschieden und selbstbewusst zurückzuweisen.

Meine Zeit der Selbststigmatisierung, die gab es, die ist aber eindeutig Vergangenheit. Das Bewusstsein und Wissen, bei wirksamer Therapie nicht mehr infektiös zu sein, ausgelöst durch die EKAF Stellungnahme vom 30.01.2008, hat sehr wesentlich dazu beigetragen.

Ich begrüße es sehr, dass Menschen mit HIV über die Deutsche AIDS-Hilfe mit dem Projekt „Positive Stimmen“ ihr Lebensgefühl und ihre Erfahrungen mit Diskriminierung und Stigmatisierung beschreiben. Raus aus der Vereinzelung mit diesen Erlebnissen, rein in das Gemeinschaftserleben, dass hier etwas gesellschaftlich passiert, was ungerecht und unangemessen ist.

Die Mitteilung des eigenen HIV-positiv-sein soll von niemandem mehr als „Geständnis“ erlebt werden. Was gibt es da zu gestehen? Dass man Sex hatte? Das man nicht alles unter Kontrolle hatte? Ich habe kein Unrecht begangen, als ich mich mit HIV angesteckt habe – ich habe gelebt und wollte das Beste für mich. Was daran soll ein Geständnis sein? Dieses im Zusammenhang mit einem HIV-Outing von HIV-Positiven oder auch Journalisten verwendete Wort „Geständnis“ stört mich sehr, denn in der offenbarten Angst der Anderen im Umgang mit HIV gestehen diese ihr Unwissen, ihre Dummheit und ihre Vorurteile. Das Leben mit HIV ist heute anders, als allgemein bekannt ist.

Ich habe viel gelernt – und das war ein spannender Prozess, über dessen Ergebnis ich im guten Sinne gelassen stolz bin.

“positiv – na und?” Ach lass uns doch über was Interessanteres als Selbstverständlichkeiten reden… :-)


3 Jahre nach Veröffentlichung ist das EKAF-Statement uneingeschränkt gültig

Januar 21, 2011

Seit dem EKAF-Statement wurde verschiedentlich versucht, das Unbeweisbare zu wiederlegen. Erneut versuchen Englische und Holländische Autoren mit einem mathematischen Modell das Statement zu widerlegen.

Die Eidg. Kommission für AIDS-Fragen (EKAF) hat – basierend auf fehlenden Beobachtungen von Übertragung unter Therapie – behauptet, dass das Risiko einer Übertragung unter einer optimal durchgeführten HIV-Therapie vernachlässigbar klein sei. Seither sind fast drei Jahre verflossen und das Statement wurde immer und immer wieder diskutiert, oft verdankt, gelegentlich als zu vereinfachend kritisiert aber nicht wirklich widerlegt. Wäre das Statement so falsch, müsste es nun in der Literatur zahlreiche, gut dokumentierte Fälle von HIV-Übertragung unter Therapie geben. Doch bis auf einen einzigen, schlecht dokumentierten Fall (Stürmer 2009) blieb der Gegenbeweis in der Tat noch aus. Beim vermeintlichen Fall fehlt leider eine Dokumentation eines negativen HIV-Tests beim Partner nach Beginn der Therapie, so dass nicht nachgewiesen werden konnte, dass der feste Partner nicht bereits vor Therapiebeginn infiziert wurde.

Widerlegung durch mathematische Modelle
Ein interessanter Diskussionsbeitrag zur Frage der HIV-Übertragung sind auch die zahlreichen mathematischen Modelle, welche zur Widerlegung des EKAF Statements angestrengt wurden. Das kürzlich in Sexually Transmitted Infections publizierte Modell hat die Frage untersucht, wie das Resultat des letzten HIV-Resultates (HIV-Viruslast) die Entscheidung, Sex ohne Kondom zu haben, somit auch das Transmissionsrisiko beeinflussen könnte.

Kondome, zusätzlich zur Therapie, nützen
ist eigentlich die Kernaussage der Autoren. Speziell an der Arbeit ist, dass die Autoren das Risiko der HIV-Übertragung davon abhängig machen, wie lange die letzte Überprüfung der HIV-Viruslast zurück liegt. Doch auch diese Berechnung basiert auf eigenen Annahmen. In der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie haben Combescure et al (HIV-Medicine 2009) gezeigt, dass Patienten, welche wiederholt eine nicht nachweisbare Viruslast hatten, auch bei der nächsten Kontrolle eine gute wirksame Therapie hatten. Diese Regel trifft lediglich nicht auf Patienten zu, welche aus irgend einem Grund die Therapie unterbrochen hatten. Der von den Autoren hypothetisch angenommene Anstieg der Viruslast tritt eigentlich also nur ein, wenn eine zentrale Bedingung des EKAF-Statements nicht erfüllt ist: Regelmässige Einnahme der Medikamente!

Annahmen widersprechen der Realität!

Die Autoren beginnen für die Berechnung des Transmissionsrisikos mit einem hypothetischen Modell der Transmissionsrate abhängig von der HIV-RNA Viruslast, der „Fraser-assumption“ (Fraser 2007). Doch die Konklusion ist sehr überraschend: MSM, welche behandelt sind, haben unter den genannten Prämissen ein Risiko von 22% (9-37%), ihren Partner anzustecken ! Das ist immens und widerspricht allen Erfahrungen und publizierten Arbeiten (s. Metaanalyse Atila, 2009). Unter „Therapie“ verstehen die Autoren jede Form der Therapie, auch die schlecht wirksame. Doch dies ist ja nicht das, was das EKAF-Statement als Grundlage für das Statement einer vernachlässigbaren Übertragungsrate verwendet.

Klicken auf Bild zum VergrössernDas Mathematische Modell hat immer recht….
Das heisst nun allerdings nicht, dass die Arbeit oder das Modell falsch sind. Die Berechnungen dürften sicher stimmig sein, doch das Modell basiert auf Annahmen, die kaum stimmen können (22% Übertragungsrate unter Therapie!). Die Aussage, dass der zusätzliche Gebrauch von Kondomen das theoretische Risiko senkt, ist sicher korrekt.

…doch die Annahmen können falsch sein
Die hier verwendeten Grundlagen ergeben nun, wie die Abbildung zeigt, dass das Risiko einer Übertragung unter einer gut wirksamen Therapie („if low VL“) klein ist, doch theoretisch die Benutzung von Kondomen noch einen zusätzlichen Effekt hat (Vergrösserung der Abb. durch Klick auf Bild). Ob diese zusätzliche Risikoreduktion überhaupt noch klinisch relevant ist, kann jedoch aus dieser Arbeit nicht abgeleitet werden, da das berechnete Transmissionsrisiko offensichtlich zu hoch ist. Hätten wir – wie die Arbeit suggeriert – eine 2-3% Wahrscheinlichkeit einer Übertragung beim Sex ohne Kondom unter Therapie, hätten wir diese Fälle allein in der Schweizerischen HIV-Kohorte schon längst entdeckt und dokumentiert.

HIV-Risiko immer noch Sonderfall
Auch die Web-Seite der Pharma-Firma ViiV-Healthcare nimmt die Studie recht unkritisch auf und präsentiert die postulierten Daten als reale Zahlen von Übertragungsrisiken. So heisst es hier: „Liegt bei dem HIV-positiven Partner die Viruslast unter der Nachweisgrenze, so hat der nicht infizierte Partner in den darauf folgenden 6 Monaten ein Risiko von 3 % sich mit dem HI-Virus zu infizieren, wenn das Paar in diesem Zeitraum auf den Gebrauch von Kondomen verzichtet“.  Es wird noch länger dauern bis die Gesellschaft anerkennt, dass ein minimales Restrisiko für HIV nicht anders zu behandeln ist als z.B. das Restrisiko einer sexuellen Übertragung von Hepatitis C. Obwohl wir dokumentierte Einzelfälle von sexueller HCV-Übertragung kennen, empfehlen wir HCV-serodifferenten Paaren auch nicht, beim Sex Kondome zu verwenden.

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Dieser Text wurde am 24.12.2010 veröffentlicht von Prof. Vernazza auf www.infect.ch

Die Deutsche AIDS-Hilfe hat im April 2009 ein auf das EKAF-Statement aufbauendes Positionpapier „HIV-Therapie und Prävention“ veröffentlicht, das differenziert auf verschiedene Lebenssituationen eingeht.


Sitzt das Kondom – Sitzt die Therapie? Check it!

Mai 4, 2009

Die Stiftung Warentest hatte wieder Kondome im Test und berichtet am 9.4.o9. Dabei wird besonders auch auf das Kondom als Mittel zur Vermeidung einer HIV-Infektion eingegangen:

Jeweils 3 000 HIV-Neuinfektionen wurden in den letzten beiden Jahren in Deutschland gemeldet. Häufig sind sie auf Nachlässigkeit und Sorglosigkeit zurückzuführen. Auch Infektionen mit Syphilis nehmen wieder zu. Mit mangelnder Kondomqualität haben die Infektionen nichts zu tun.

Auch betont die Stiftung Warentest: Keine Verhütungsmethode ist 100% sicher. Auch ein Kondom kann mal ein Loch haben:

Ein „Sehr gut“ wurde als test-Qualitätsurteil nicht vergeben, weil es keine Verhütungsmethode gibt, die einen 100-prozentigen Schutz bietet. Kondome ohne Löcher ließen sich , wenn überhaupt, nur mit noch größerem Aufwand herstellen. Auch ein Kondom kann mal ein Loch haben. Die Norm setzt aber Maßstäbe: Beim Lochtest dürfen bei 315 Kondomen aus einer Charge von 150 000 Stück zwei Kondome „Undichtigkeiten“ haben; bei 500 Kondomen aus einer Charge von 150 000 bis einer halben Million drei.

Die Fehlerquote liegt dabei aber weit weit unter der menschlichen Fehlerquote.

Im Test hatten bei etwa 24 500 geprüften Kondomen zwei Kondome zweier Fabrikate jeweils ein Loch, von einem weiteren Hersteller ein Kondom eine Undichtigkeit. Der Qualität tut das keinen Abbruch, die Norm wurde erfüllt.

Meist spielen Alkohol und Drogenkonsum eine bedeutende Rolle, wenn es trotz konsequentem Kondomgebrauch zu einer Ansteckung mit HIV kommt. Dann klappt es mit der Anwendung einfach nicht mehr so gut – ohne dass man es selber merkt. Und an dieses „Wahrnehmungsloch“ kann man sich dann logischerweise nicht erinnern.

Wird im Zusammenhang mit der Schutzwirkung einer wirksamen Therapie benannt, dass diese vergleichbar ist zum Kondom, – aber beide eben auch nicht 100% sicher sind – wird genau auf diese menschlichen  Anwendungsfehler und nicht auf Materialfehler Bezug genommen.

Der Vergleich passt auch hier:

„Sitzt das Kondom? – Sitzt die Therapie? – Check it!“


AIDS-Hilfen führen EKAF-Debatte offensiv weiter

März 31, 2009

Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) hat in ihrer Broschüre „Therapie 2009“ die neuen Erkenntnisse um den Zusammenhang von Viruslast und Infektiosität eingearbeitet. Der Delegiertenrat der DAH hat auf seiner Sitzung im März die Ausdifferenzierung der zentralen Botschaft begrüßt, die HIV-Therapie als wichtiges Element des Risikomanagements zu bewerten.

Damit ist eine weitere Grundlage geschaffen, die auf der Konferenz zum Leben mit HIV und AIDS „Positive Begegnungen“ von den TeilnehmerInnen gestellte Aufforderung, die EKAF-Debatte mutig weiterzuführen, in die Tat umzusetzen. Ausdrücklich bittet der Vorstand der DAH nun um eine „offensive Verbreitung innerhalb und außerhalb des Verbandes“.

In diesem Sinne folgt hier ein Auszug von zwei wesentlichen Kapitel aus der genannten Broschüre

„Therapie ?“

Basis-Information zur Behandlung der HIV-Infektion

Deutsche AIDS-Hilfe, 2009

Kapitel: „Was ist mit Sex“

Eine erfolgreiche Therapie führt dazu, dass die Viruslast im Blut, im Sperma und in den Schleimhäuten drastisch sinkt, wodurch sich auch die Ansteckungsgefahr für die Sexpartner stark verringert. Schädigungen der Schleimhäute in der Scheide, am Penis oder im Darm – vor allem durch sexuell übertragbare Krankheiten wie Syphilis und -Herpes – erhöhen dieses Risiko wieder, weil sich in geschädigter Schleimhaut HIV anreichert und sie außerdem durchlässiger für HIV macht.

Sex mit HIV-negativen Partnern

Bei erfolgreicher Therapie (die Viruslast ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze, die Medikamente werden konsequent eingenommen) und intakten Schleimhäuten ist eine Infektion des Sexualpartners beim Sex ohne Kondom unwahrscheinlich. Da man aber diese Voraussetzungen bei Gelegenheitspartnern nicht garantieren kann, empfehlen wir für diese Situation nach wie vor den Gebrauch von Kondomen. Diese reduzieren zudem das Risiko, sich mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten wie Syphilis oder Tripper anzustecken.

Festen Partnern empfehlen wir zur Frage „Kondomverzicht – ja oder nein?“ dringend folgendes Vorgehen: eine ausführliche Beratung in der Aidshilfe, dazu ein Gespräch mit dem Arzt, ob die genannten Bedingungen gegeben sind, dann eine gemeinsame Entscheidung, mit der beide gut leben können, und anschließend regelmäßige ärztliche Untersuchungen.

Sex mit HIV-positiven Partnern

Bei einer erfolgreichen Therapie ist es unwahrscheinlich, dass man sich bzw. den Sexualpartner mit einer weiteren HIV-Variante ansteckt, die unter Umständen gegen bestimmte antiretrovirale Medikamente resistent = unempfindlich ist. Möglich ist eine solche „Superinfektion“ aber bei Menschen mit HIV, die noch keine Therapie machen oder gerade in einer Therapiepause sind.

Kapitel: „Was ist mit Kinderwunsch und Schwangerschaft?“

HIV-positive Männer können das Virus bei der Zeugung nicht an das Kind weitergeben, wohl aber die Frau anstecken (und dadurch kann dann auch das Kind infiziert werden). Dies kann man durch eine „Spermawäsche“ und/oder den Einsatz von antiretroviralen Substanzen verhindern. Die Einnahme von Medikamenten durch den angehenden Vater schadet dem Kind nach heutigem Wisse nicht.

Das Risiko einer HIV-Übertragung von der Mutter auf ihr Baby kann auf unter 2 % gesenkt werden: indem die Mutter Medikamente gegen HIV einnimmt, um die Viruslast im Blut unter die Nachweisgrenze zu senken, durch eine vorsorgliche mehrwöchige Behandlung des Neugeborenen mit Anti-HIV-Medikamenten und durch den Verzicht aufs Stillen. Um das Risiko einer Übertragung bei der Geburt zu minimieren, wird HIV-infizierten Müttern meistens ein geplanter Kaiserschnitt empfohlen. Liegt die Viruslast stabil unter der Nachweisgrenze, ist bei intensiver medizinischer Betreuung durch HIV-Spezialisten auch eine natürliche Geburt möglich.

Die Akzeptanz von relativer Sicherheit bleibt damit Grundlage der HIV-Prävention. Weitere links zum Thema im gleichnamigen Blogbeitrag, sowie bei Blogger ondamaris.

Die Broschüre „Therapie“ ist bei der DAH und bei den regionalen AIDS-Hilfen erhältlich .


Freispruch bei nur hypothetischen Risiken

März 5, 2009

Man soll Menschen nicht verurteilen für hypothetische Risiken“ („One shouldn’t convict people for hypothetical risks” ), begründete der Genver Staatsanwalt Yves Bertossa den Freispruch eines HIV-positiven Mannes, der beschuldigt wurde, seine Sexualpartnerinnen dem Risiko einer HIV-Ansteckung durch ungeschützten Sex ausgesetzt zu haben. Der Freigesprochene war erfolgreich behandelt (Viruslast unter der Nachweisgrenze).

Das Gericht folgt damit als erstes Gericht weltweit der Stellungnahme der eidgenössischen Kommission für Aidsfragen (EKAF), die eine HIV-Übertragung bei wirksamer Behandlung faktisch ausschliesst.

thebody.com in den USA sieht dieses Urteil als „möglichen Wendepunkt“ in der Debatte um HIV und Strafrecht.

LHIVE, die Selbsthilfeorganisation der Menschen mit HIV in der Schweiz, begrüsst dieses Urteil:

Erstmals werden in der Schweizerischen Rechtspraxis die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Nicht-Infektiosität berücksichtigt.
Mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung durch die Eidgenössische Komission für AIDS-Fragen fliessen die medizinischen Fakten in die Rechtssprechung ein.
Ein Schritt zur Gleichheit vor dem Gesetz ist damit erreicht.

LHIVE erwartet, dass dieses Urteil für die Zukunft wegweisend ist.

Wer dank der erfolgreichen Behandlung mit ART nicht als ansteckend angesehen werden kann, sollte auch nicht wegen versuchter schwerer Körperverletzung oder gar versuchter Verbreitung einer gefährlichen menschlichen Krankheit belangt werden.

Wir fordern:

  • Ein Umdenken in der Rechtssprechung, die sich von nun an, an den wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Grundsätzen der Gesundheitspolitik orientiert.
  • Safer Sex Regeln gelten grundsätzlich für alle.
  • Art. 231 des StGB wird nicht mehr in Zusammenhang mit HIV angewandt.

( siehe auch Medienmitteilung vom 28. Januar 2008)

Seit langem setzt sich die Deutsche AIDS Hilfe zusammen mit internationalen Partnerorganisationen dafür ein, die HIV-Prävention und das Leben mit HIV nicht durch eine Kriminalisierung der HIV-Exposition und -Übertragung zu erschweren. Diese Forderung wird eindrucksvoll inhaltlich begründet.

Innerhalb ihrer Präventionskamapgne IWWIT linkt sie auf eine englischsprachige webseite, die detailliert zeigt, in welchen Ländern es spezielle Gesetze zur strafrechtlichen Behandlung bei HIV-Infektionen gibt.

Akzeptanz von relativer Sicherheit die ist Grundlage der HIV-Prävention.

Nachtrag: In Nürtingen wurde bereits Mitte März 2008 ein HIV-positiver Angeklagter bei einer Verhandlung vor dem Amtsgericht vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen. Einer der Gründe: er sei aufgrund erfolgreicher Therapie ‘nicht ansteckend’.


Mehr Spaß am Sex mit kontrollierter Viruslast / be smart about HIV!

März 1, 2009

Im Juni 1997 erschien in der Zeitschrift San Francisco Frontier eine Anzeige innerhalb einer Informationskampagne, die mich damals während eines Urlaubs tief beeindruckte. Sie hinterließ bei mir eine so große Wirkung, dass ich meine Skepsis gegenüber der HIV-Therapie aufgab und im Januar 1998 mit meiner HIV-Therapie begann.

Die formulierten Aussagen sind tatsächlich eingetroffen. Dort hieß es: „Be smart about HIV. See your doctor about new treatment options. Reducing the amount of Virus may help you live longer.“

be smart about HIV

be smart about HIV

Angepasst auf die heutige Situation, 12 Jahre später, ermöglicht eine wirksame HIV-Therapie mit dauerhaft unterdrückter Viruslast nicht nur ein (noch) längeres Leben. Faktisch ist auch die Infektiosität beseitigt. Daher ist eine ähnlich neue Situation gegeben, die eine neue Informationskampagne erforderlich macht. Die Struktur kann im wesentlichen beibehalten werden:

„Be smart about HIV“ meint in etwa: Sei schlau und intelligent im Umgang mit Deiner HIV-Infektion. Sorge gut für Dich. Nutze die heutigen Möglichkeiten.

„See your doctor about new treatment options“: Geh zum Arzt und informier Dich über neue Behandlungserfolge und Auswirkung auf Dein Sexleben. Informiere Dich, mach Dich fit und up-to-date. Lass dich beraten.

Und nun die auf die heutige Situation bezogene,  auf wirksame Therapie/Viruslast/Infektiosität angepasste neue Botschaft:

New research suggests: Reducing the amount of Virus may help you live Sex more joyful:

„Neue Forschungsergebnisse zeigen: Eine kontrollierte Viruslast kann Dir helfen, wieder mehr Spaß am Sex zu haben“

Wann wird es in Deutschland eine offensive Information zur heutigen Behandlungssituation geben? Damals wie heute ist sehr entscheidend, gut und umfassend zu HIV informiert zu sein. Die Aussagen beschönigen nichts und machen keine falschen Versprechungen. Im Gegenteil, sie machen (HIV-Positive wie HIV-Negative) neugierig und laden ein: Es hat sich etwas getan! Informier Dich! Lass nicht denken und Denke selber!

Sie rufen auf, smart und intelligent zu sein, sie appelieren in Wort und Text an Selbstliebe und Nächstenliebe, an Selbstwertgefühl und Solidarität, ganz im Sinne der Kampagne der DAH für schwule Männer: „Ich weiss, was ich tu!“

Es ist 1 Jahr nach Veröffentlichung der EKAF-Stellungnahme überfällig, endlich deutlicher, mutiger und offensiver zu werden, zum Beispiel mit einer Informationskampagne nach dem Muster von „be smart about HIV“.



Schweiz geht in die Offensive: Solidarität YES – Diskriminierung NO!

November 5, 2008

Am 3. November startete in der Schweiz eine Kampagne, die aktiv und offensiv Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen mit HIV und AIDS im eigenen Land abbauen will. Die Schweizer Kampagne „Gegen AIDS. Für die Betroffenen.“ übernimmt ein Kampagnenkonzept, dass schon in Frankreich überzeugte.

„Würden Sie mich noch sehen wollen, wenn ich HIV-positiv wäre?“ fragt Sandra Studer und blickt einem dabei direkt in die Augen. Mit solch persönlich gefärbten Fragen zeigen Schweizer Prominente (neben Sandra Studer auch Didier Cuche, Stephan Eicher, Marc Forster, Stephanie Glaser) ihre Solidarität mit den Betroffenen. Sie machen darauf aufmerksam, dass HIV-positive Menschen in der Schweiz nach wie vor mit grossen Vorurteilen zu kämpfen haben. Die Diskriminierung von Menschen, die mit HIV oder Aids leben, ist auch in der Schweiz immer noch an der Tagesordnung.

Heute ist die Diagnose „HIV-positiv“ dank grosser Fortschritte in der Medizin kein Todesurteil mehr. HIV/Aids ist zu einer chronischen und doch unheilbaren Krankheit geworden, die immer mehr Personen in der Schweiz betrifft. …“

Diese Botschaften sind ab sofort in der Schweiz als Plakate und in einem TV-Spot zu sehen.

Anders als in Deutschland, wo die Gesundheitsbehörden in zentralen Kampagnen sowohl bei „Gib AIDS keine Chance“ als auch in der Kampagne zum Welt-AIDS-Tag ihren Schwerpunkt auf die Primärprävention (Vermeidung von Neuinfektionen) legen, stehen nun nach Frankreich auch in der Schweiz die Verbesserung der gesellschaftlichen Lebensqualität für HIV-Positive im Mittelpunkt.

Eine breite öffentliche Kampagne, die ganz gezielt die Stigmatisierung von Menschen mit HIV und AIDS abbauen will, fehlt dagegen in Deutschland noch.

Auch die Arbeit der Schweizer AIDS-Hilfe in Beratung und Unterstützung von Menschen mit HIV und AIDS, in Integration und Aufklärung der Gesellschaft, wird hervorgehoben, ein erfreulich anderer Akzent als er in den Grußworten deutscher Gesundheits-/Politiker zum 25-jährigen Bestehen der DAH gesetzt wurde.

Die Aids-Hilfe Schweiz schreibt weiter:

„…[Die Kampagne] soll auch helfen, die dringend benötigten finanziellen Mittel für die vielfältigen Aufgaben der Aids-Hilfe Schweiz zu beschaffen. Die Spendengelder werden eingesetzt für die Unterstützung und Hilfe von Betroffenen, für die Prävention bei Jugendlichen und für vieles mehr. …“

Dass neben Frankreich nun auch die Schweiz neue Wege in Kampagnen zu HIV und AIDS geht, weckt Hoffnung, dass bald in Deutschland neben den AIDS-Hilfen verstärkt auch das Gesundheitsministerium und mit ihm die BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) in dieser Richtung kooperieren. Neue Horizonte eröffnet auch die zentrale Botschaft der Schweizer AIDS-Kommission vom Januar 2008, dass eine wirksame HIV-Therapie die Infektiosität unterdrückt, wie ich in meinem Blog „Neuer Optimismus im Leben mit HIV: Ich werde HIV überleben!“ bereits am 17.2.2008 geschrieben habe.

Seit vielen Jahren sagt ein Plakat der Deutschen AIDS-Hilfe:

„Solidarität ist ansteckend – Mit HIV-Positiven arbeiten nicht!“

Und das muss auch in der Breite der Gesellschaft ankommen!

Meines Wissens nach arbeitet die Organisation der Positivenselbsthilfe in der Schweiz LHIVE bislang mit einem sehr kleinen Budget. Daher wäre es aus meiner Sicht – auch im Sinne der Zielsetzung der Kampagne –  wünschenswert, wenn an den jetzt – hoffentlich – eingehenden Spendengelder auch LHIVE teilhat, um geplante Selbsthilfe-Projekte mit einem besseren finanziellen Budget ausstatten zu könnten. Idealismus und Zeit ist bei vielen Menschen mit HIV und AIDS vorhanden, wer aber von Rente und geringen anderen Transferleistungen lebt, kann neben diesen ideellen Ressourcen meist eben KEINE materielle Ressourcen einbringen. Nicht nur Aidshilfen, sondern auch gerade die Positivenselbsthilfe ist – in der Schweiz wie in jedem anderen Land – auf Spenden und/oder öffentliche Förderung angewiesen.


Akzeptanz von relativer Sicherheit ist Grundlage der HIV-Prävention

Oktober 16, 2008

Auf der Konferenz „HIV-Kontrovers“ erfolgte eine erste breite Debatte in NRW zwischen Ärzteschaft, öffentlichem Gesundheitsdienst, AIDS-Hilfen und Positivenselbsthilfe über die EKAF-Stellungnahme.

Prof. Vernazza, Prof. Brockmeyer, Armin Traute, Michael Jähme, Michaela Dierks

Podium der Abschlussdiskussion: v.l.n.r.: Prof. Vernazza, Prof. Brockmeyer, Armin Traute, Michael Jähme, Michaela Dierks

Professor Vernazza, als Präsident der EKAF Mitherausgeber der Stellungnahme, ging sachlich und konkret auf die in den letzten Monaten vorgetragene Kritik ein und stellte einiges richtig: EKAF hat das Kondom als „100% safe“ in Frage gestellt. Genau das sei jetzt die große Verunsicherung. In der Vergangenheit habe man verschwiegen, dass ein Kondom niemals einen 100%igen Schutz vor einer Ansteckung mit HIV bietet. Die Kontroverse über die EKAF-Stellungnahme entzündet sich an der Frage: „Was ist sicher genug für die Prävention?“ In der Vergangenheit habe man sich darauf geeinigt, daß Kondome sicher genug sind, um die bekannte Präventionsbotschaft „Kondome schützen“ zu benutzen.

Grundlage von Prävention sei daher immer die „Akzeptanz von relativer Sicherheit„. Kritiker hätten der EKAF vorgeworfen, dass man ein „Null-Risiko“ nicht garantieren könne. Dazu Prof. Vernazza: „Genau das haben wir auch gesagt.“

Prof. Vernazza äusserte sich auch persönlich: „Das Schöne an EKAF ist, daß Patienten denken: Ich kann auch wieder Sex haben ohne Kondom!“

Als Teilnehmer der Runde auf dem Podium verstärkte ich (Michael Jähme) die Notwendigkeit der Entängstigung bei HIV-Positiven. Ich schilderte, wie auch ich als Fachmann in der AIDS-Hilfe die auch mir schon lange bekannten Berichte zur Unterdrückung der Infektiosität bei wirksamer HAART nicht auf mich selber und auf das Leben mit HIV insgesamt bezogen habe. Erst die EKAF-Stellungnahme habe mir die Augen geöffnet, wofür ich der EKAF noch einmal meinen Dank aussprach. Als mögliche Erklärung, warum das Zögern, die Bedeutung der Berichte in ihrer Tragweite anzuerkennen, auch bei mir und in der Selbsthilfe so lange gedauert habe, äusserte ich folgenden Hypothese: In der Vergangenheit hat es immer wieder Hoffung weckende Meldungen über Impfstoffe, Heilung und neue Medikamente gegeben, denen später eine schmerzhafte Enttäuschung folgte. Menschen mit HIV und AIDS hätten aus diesen Achterbahnfahrten der Gefühle gelernt, erst einmal abzuwarten, was wirklich an einer Sache dran ist.

Die Entwicklung seit dem Auftreten von AIDS hat jetzt einen neuen Punkt erreicht, der Selbstbild und Selbstbewusstsein von Menschen mit HIV und AIDS massiv verändert. In den ersten Jahren von AIDS war es realistisch, die Mitteilung einer HIV-Diagnose zu erleben als: „Ich bin gefährlich für andere und ich werde sterben.“ Nach Vancouver, ab 1996, war es realistisch, mit einer HIV-Diagnose zu denken: „Ich werde nicht sterben, aber ich bin gefährlich für andere.“ Heute, mit den in der EKAF-Stellungnahme schlüssig dargelegten Fakten ist es möglich, eine wirksam therapierte HIV-Infektion zu erleben als „Ich bin nicht mehr gefährlich für andere und ich werde auch nicht an HIV sterben.“

Was dieses neue Erleben für eine ungeheure Entlastung mit sich bringt, dies begreifen nur wenige. Und nur die wenigsten Menschen ohne HIV-Diagnose sind bereit, diesen Wechsel in die Perpektiv eines HIV-Positiven für einen kleinen Moment vorzunehmen, um ansatzweise auch emotional zu erfahren, welche Bedeutung das „nicht mehr infektiös“ für uns HIV-Positive hat. Dass von der wirksamen HIV-Therapie eine gleiche Schutzwirkung ausgeht wie vom Kondom, diese Veränderung der Betrachtung erfordere ein anstrengendes Umdenken und sei „echte Arbeit“, die sich mir als Bild darstellt: „Im Gehirn müssen Verbindungen zwischen Gehirnzellen völlig neu geschaltet werden. Der alte Schaltplan muss ‚upgedatet‘ werden.“ Im Leben mit HIV habe sich etwas grundlegend verändert. Ich halte es für einen Irrtum zu glauben, es wäre mit einer einfachen rationalen Aufnahme der Information getan. Man müsse dies auch in seiner emotionalen Tragweite erfahren. Diese Anpassungsleistung ist sowohl für HIV-Positive wie für HIV-Negative/Ungetestete anstrengend und zunächst verunsichernd.

Daher ist es mir auch verständlich, dass jeder eine unterschiedlich lange Zeit braucht, diese grosse Veränderung auf sich wirken zu lassen, um sie dann anzuerkennen. Der Wert der Debatte auf der Konferenz  „HIV-Kontrovers“ liegt für mich darin, dass wir den offenen Dialog über die Folgen der EKAF Stellungnahme jetzt begonnen haben.

Professor Vernazza relativierte die große Aufmerksamkeit, die die EKAF-Stellungahme erlangt hat: Es gibt viel gravierendere Infektionsrisken zu anderen Krankheitserregern, deren Diskussion und Aufmerksamkeit er sich wünscht. Als Beispiel nannte er das Problem, dass sich nicht jede/r in der Belegschaft eines Krankenhauses gegen  Grippe impfen läßt und mit einer eigenen Grippeerkrankung dann andere Mitarbeiter und Patienten gefährde.

Professor Brockmeyer ergänzte, dass sich Ärzte und Bevölkerung der Risiken anderer Erkrankungen zu wenig bewusst seien: „HIV war immer eine besondere Erkrankung. Wir haben von dieser Sonderstellung gelebt, und das wirkt sich eben auch jetzt [in der Debatte um die EKAF-Stellungnahme] aus.“

In seinem Schlusswort begrüßte Gastgeber Prof. Brockmeyer, dass die Teilnehmer bei HIV-Kontrovers tatsächlich den Mut gefunden hätten, nach anfänglichem Zögern doch bisher nicht zugelassene Gedanken zu denken und eine kontroverse Debatte zu wagen: „Wir müssen Stellung beziehen – es geht nur kontrovers!“

Nachtrag 23.10.2008:

Die Deutsche AIDS-Hilfe schliest sich dem Mexiko-Manifest an, wie Ondamaris berichtet:  In dem „Mexiko-Manifest“ , veröffentlicht von LHIVE, der Schweizer Selbsthilfeorganisation der Menschen mit HIV und AIDS, wird die Veröffentlichung der EKAF-Stellungnahme ausdrücklich begrüßt und sind Folgerungen für den weiteren Umgang mit dem Thema Infektiosität formuliert.

An die Entscheidung der DAH knüpfe ich die Erwartung, dass nun in den Mitgliedsorganisationen der DAH eine offensivere und freiere Debatte stattfindet um die Infektiosität  (insbes. bzgl. Auswirkung auf Lebensqualität von HIV+ und die HIV-Prävention) und dass „eigenes Denken“ begrüßt und unterstützt wird.