Jeder Beruf kann auch mit einer HIV-Infektion ausgeübt werden

März 15, 2014

Die Landeskommission AIDS  hat im März 2014 eine 5-seitige Empfehlung an die Landesregierung NRW zum Umgang mit Menschen mit HIV/AIDS in der Arbeitswelt veröffentlicht. Eine zentrale Aussage steht dem Text voran:

„Jeder Beruf kann auch mit einer HIV-Infektion ausgeübt werden.“

Menschen mit HIV werden aber im Arbeitsleben nach wie vor mit unbegründeten Ansteckungsängsten konfrontiert. Handlungsbedarf sieht die Landeskommission vor allem darin,

  • Ängste abzubauen
  • Diskriminierung zu beenden
  • Menschen mit HIV über ihre Rechte aufzuklären, sowie
  • Menschen mit HIV zur aktiven Teilnahme am Arbeitsleben zu ermutigen.

Eine wichtige Massnahme um diese Ziele zu erreichen sei unter anderem eine offensiv Verbreitung zeitgemäßer Informationen wie z.B.:

„Eine Übertragung von HIV auf Dritte ist im Berufsalltag ausgeschlossen. Menschen mit chronischen Erkrankungen müssen nachteilsfrei am Arbeitsleben beteiligt werden. Dies gilt auch für Menschen, die mit HIV leben. Die Frage des Arbeitgebers nach einer HIV-Infektion ist grundsätzlich nicht zulässig. Wird die Frage trotzdem gestellt, kann die Bewerberin oder der Bewerber die Antwort verweigern oder die Frage nicht wahrheitsgemäß beantworten. Die Durchführung eines HIV-Tests im Rahmen einer Einstellungsuntersuchung auf Verlangen des Arbeitgebers ist ebenfalls grundsätzlich nicht zulässig. Erlangt die untersuchende Ärztin oder der untersuchende Arzt dennoch Kenntnis über eine vorliegende HIV-Infektion, darf sie oder er den potentiellen oder bereits bestehenden Arbeitgeber darüber nicht informieren, sondern unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht. Auskunft darf nur über die Eignung für den entsprechenden Arbeitsplatz gegeben werden.“

In einem ergänzenden Exkurs geht die Landeskommission AIDS unter anderem auf die medizinische Definition von HIV und AIDS und deren Aussagekraft zur Arbeitsfähigkeit ein und erläutert:

„Die Abkürzung AIDS steht für „Acquired immunodeficiency syndrome“, „erworbenes Immundefektsyndrom“. Zur Stadieneinteilung der HIV-Infektion wird meist noch die 1993 eingeführte CDC-Klassifikation benutzt, die zuletzt 2008 überarbeitet wurde. Die CDC-Klassifikation beschreibt den bislang schlechtesten, durch die Immunschwäche verursachten Gesundheitszustand eines Menschen. Vor der Einführung einer wirksamen Therapie der HIV-Infektion wurde mit dem Kürzel „AIDS“ in der CDC-Klassifikation eine weit fortgeschrittene Erkrankung beschrieben. Da die CDC-Klassifikation keine Rückstufung (Besserung) zulässt, ermöglicht sie heute ausschließlich eine rasche Orientierung über den bislang schlechtesten Gesundheitszustand, der durch die Immunschwäche bedingt war, besitzt aber keine Aussagekraft über den aktuellen Gesundheitszustand eines Menschen mit HIV.

Die vollständige Empfehlung der Landeskommission AIDS ist hier als pdf nachzulesen.

 

 


„Ich hatte AIDS“ – Von AIDS kann man auch wieder gesund werden

November 23, 2011

Die Bezeichnung AIDS ist eine medizinische Definition für das Vollbild der fortgeschrittenen HIV-Infektion. In den 80er Jahren bedeutete „Vollbild AIDS“ eine sehr kurze Lebenserwartung von nur etwas mehr als einem Jahr.

Heute, 30 Jahre später, kann man vom Vollbild AIDS auch wieder weitgehend gesund – und mit HIV alt werden.

Zu spät mit HIV diagnostiziert, sterben auch heute noch Menschen an AIDS und im Vollbild AIDS. Das wäre vermeidbar, würde die HIV-Infektion früher erkannt– und mit den HIV-Medikamenten behandelt. Bei manchen wird die HIV-Infektion aber erst so spät festgestellt, dass es für die HIV-Medikamente zu spät ist – die Medikamente können nicht mehr ihre heilsame Wirkung entfalten und die Menschen sterben.

Andere haben Glück: Trotz später Diagnose bei lebensbedrohlicher Erkrankung an AIDS überleben sie die akute Krise, und durch die Wirkung der HIV-Medikamente erholt sich das Immunsystem. Der von Krankheit zu Tode geschwächte Körper regeneriert sich, verlorenes Körpergewicht baut sich wieder auf, und auch die Kräfte kommen wieder zurück.

Ernst, einer der Botschafter der Welt-AIDS-TAgs-Kampagne 2011, formuliert es so : „Der HIV-Test hat mein Leben gerettet.“

Mehrfach habe ich Menschen wie Ernst in der Begleitung und Beratung von HIV-Positiven erlebt, Menschen, die bis  auf die Knochen abgemagert und mit dem Tod ringend das Vollbild AIDS überlebten – und 12 Monate später wieder ihrer gewohnten Vollzeitarbeit nachgehen konnten. Es grenzt an ein Wunder. Sie sind nur einfach glücklich und  erleben es so: „Ich bin von AIDS gesund geworden. Ich hatte AIDS – aber ich hab’s überlebt – und  jetzt bin ich nur noch HIV-positiv.“

Trotz immer effektiver wirkender Medikamente gelingt diese Erholung aber nicht bei jedem. Bei einigen im Vollbild AIDS Erkrankten bleiben starke gesundheitliche Beeinträchtigungen zurück, die Regeneration bleibt sowohl im Immunsystem als auch in der körperlichen Leistungsfähigkeit unvollständig. Bei einigen ist eine Rückkehr ins Erwerbsleben deshalb nicht mehr möglich. Manche Körper erholen sich von einer AIDS-Vollbild-Erkrankung erstaunlich schnell – andere nur sehr langsam. Individuell ist es sehr unterschiedlich.

Erlebt man selber das Vollbild AIDS bei sehr später Diagnosestellung, kann niemand vorhersagen, wie weit und wie gut die Regeneration gelingen wird. Aber es gibt Grund, Hoffnung zu haben, dass eine alte Fitness wiedererlangt werden kann.

Denn viele haben AIDS überlebt, auch wenn die Medizin diesen Sprachgebrauch nicht gelten lassen will. Das Leben findet nicht in Schubladen statt. Es liegt an uns, was wir draus machen und auf welchen Erfahrungen wir unser Identitätserleben aufbauen. Und für manche ist es einfach so: Sie hatten Aids und sind von Aids wieder gesund geworden, sind nur noch HIV-positiv. Sie hatten AIDS und haben es eben nicht mehr. So einfach ist das.

Sie zu etikettieren mit einem „Das darfst Du so nicht sagen, das stimmt doch nicht“, ist unmenschlich und unwürdig. Jeder Mensch hat das Recht, Glück und Freude zu erleben, auszudrücken und dies auch anderen mitzuteilen.

Das Leben mit HIV hat sich sehr verändert und oft dramatisch verbessert. Auch unser Sprachgebrauch muss sich diesen Veränderungen jetzt anpassen.

Be smart about HIV! Get tested! Today, there are treatment options!


AIDS ist eine vermeidbare Komplikation der HIV-Infektion

Juli 11, 2009

Das Robert-Koch Institut kommt in seinem Epidemiologischen Bulletin vom 25. Mai 2009 in dem Kapitel über die Entwicklung bei den AIDS-Erkrankungen zu folgendem Resumé (S. 206):

Die Zahl der (geschätzten) AIDS-Fälle in Deutschland bleibt mit 1.100 Fällen pro Jahr unakzeptabel hoch. Zwar kann in vielen dieser Fälle durch eine effektive antiretrovirale Therapie wieder eine deutliche klinische Verbesserung erreicht werden, trotzdem wird die langfristige Prognose in diesen Fällen durch den einmal erreichten schweren Immundefekt und den späten Behandlungsbeginn beeinträchtigt. Die Beweggründe für die fehlende Wahrnehmung von HIV-Testangeboten bzw. ein zu langes Hinauszögern des Behandlungsbeginns in den verschiedenen Betroffenengruppen sollten daher gezielt erhoben und analysiert werden. Es gilt, geeignete Strategien zu entwickeln, um zu gewähleisten, dass einem größeren Teil der Bevölkerung die Fortschritte in der Behandlung rechtzeitig zur Verfügung stehen. AIDS ist heute eine weitgehend vermeidbare Komplikation einer HIV-Infektion. Um AIDS-Erkrankungen zu vermeiden, muss eine HIV-Infektion aber rechtzeitig diagnostiziert und konsequent behandelt werden.

Ein sehr effektiver Weg, die Test-Bereitschaft in der Bevölkerung und in den Hauptbetroffenengruppen zu erhöhen, liegt meiner Ansicht nach in der Entstigmatisierung von HIV-Positiven und der HIV-Infektion an sich. Die Kriminalisierung von HIV und HIV-Positiven schadet der Prävention.

Die nüchterne Bilanz des RKI „AIDS ist heute eine weitgehend vermeidbare Komplikation einer HIV-Infektion“ unterstützt mein Blog-Statement: „HIV ist nicht mehr tödlich – Leben mit HIV ist möglich„.

HIV ist ein Lebensrisiko für sexuell aktive Menschen, in Deutschland besonders für Schwule und Männer, die Sex mit Männern haben. Es gibt wirksame Möglichkeiten, das Ansteckungsrisiko stark zu verringern und zu minimieren. Die Safer Sex-Botschaften bauen auf diesem Gedanken der Risikominimierung auf.

Theoretisch sind alle HIV-Ansteckungen vermeidbar. Lebenspraktisch wird es aber immer Neuinfektionen mit HIV geben.

Auch dies ist eine nüchterne Bilanz.


HIV ist nicht mehr tödlich – Leben mit HIV ist möglich

April 24, 2009

Wie alt muss ich noch werden und wie viele Jahre mit HIV muss ich noch leben, bis AIDS-Präventionisten aufhören zu sagen, dass HIV im Jahr 2009 noch eine „tödliche Krankheit“ sei? Ich bin jetzt 50 Jahre alt. Ich lebe seit 19 Jahren mit einer HIV-Diagnose und schätzungsweise 21 Jahre mit einer HIV-Infektion.

Glücklicherweise habe ich die Zeit des Neuen AIDS erreicht, in der wirksame Medikamente zur Verfügung stehen, um die HIV-Infektion im Körper dauerhaft wirksam unter Kontrolle zu halten und eine fortschreitende Schädigung des Immunsystems zu verhindern.

Diejenigen, die wie Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt heute noch von der HIV-Infektion als einer tödlichen Erkrankung sprechen, verleugnen die Realität und blenden die heutigen veränderten Bedingungen aus.

Auch gutmeinende Prominente wie kürzlich Désirée Nick in einem Interview gegenüber der Zeitschrift Box (Nr. 191, S. 4) verharren in alten Bildern: „Ich habe die Schirmherrschaft [über die neue Kamapgne „Vergiss AIDS nicht“] übernommen, weil in unserer Gesellschaft alles verdrängt wird, was mit Sterben zu tun hat und Aids nach wie vor eine tödliche Krankheit ist. …“

Die Entscheidung darüber, ob eine Erkrankung zu Recht als „tödlich“ oder „nicht mehr /anders als tödlich“ bezeichnet werden kann, hängt  von äußeren Bedingungen ab.

Für fast alle HIV-Positiven in Deutschland ist HIV nicht mehr tödlich, sondern zu einer chronischen lebensbedrohlichen Erkrankung geworden, die nach wie vor das Leben stark beeinflusst.

Die Bedingungen dafür sind im wesentlichen die folgenden:

  1. Ich bin in kompetenter ärztlicher Behandlung bei einem HIV-Spezialisten.
  2. Ich habe Zugang zu wirksamen HIV-Medikamenten.
  3. Mein Körper verträgt die HIV-Medikamente und die Nebenwirkungen sind tolerabel.
  4. Über Laboruntersuchungen des Blutes wird die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Therapie kontrolliert.
  5. Ich lebe in einem solidarischen gesellschaftlichen Klima und in einem sozialen Kontext, der mich nicht ausgrenzt und mich nicht in den Selbstmord treibt.

Auf mich trifft die Aussage: „Die HIV-Infektion ist eine tödliche Erkrankung“ definitiv nicht zu. Meine Existenz straft die AIDS-Präventionisten Lügen, die solches mit einer generellen Aussage behaupten.

Die HIV-Infektion ist nur dann eine nicht mehr tödliche Erkrankung, wenn sie diagnostiziert, also erkannt ist und dann die oben genannten Bedingungen folgen können. Schreitet die HIV-Infektion bei Ungetesteten unerkannt fort, führt sie nach einem individuell unterschiedlich langen Zeitraum zu einer ausgeprägten Immunschwäche mit den bekannten lebensbedrohlichen Erkrankungen.

Hat man sich mit HIV angesteckt, bringt das Wissen um die vorhandene Infektion einen massiven Überlebensvorteil. Der HIV-Test als Mittel der Früherkennung bekommt den Charakter einer lebensrettenden Maßnahme.

Zwischen 30 – 50% der heute in Deutschland zu beklagenden Todesfälle an AIDS entfallen auf Menschen, deren HIV-Infektion erst im Vollbild AIDS bei einer massiv lebensbedrohlichen Erkrankung festgestellt wird. Trotz Intensivmedizin können sie nicht gerettet werden. Die vorhandenen HIV-Medikamente können ihre Wirksamkeit nicht entfalten. Da ist alles zu spät.

Gleichwohl nehme ich die HIV-Infektion nicht auf die leichte Schulter. Es lohnt sehr, sich zu schützen und eine Ansteckung mit HIV zu vermeiden. Eine chronische behandelbare Krankheit ist immer eine Einbuße an Lebensqualität und verkürzt meist auch die Lebensjahre.

Mit HIV gut leben zu lernen bedeutet, aus der Not eine Tugend machen zu müssen. Damit dies gelingt, ist es erforderlich, sich die nötigen Fertigkeiten in einem Lernprozess aneignen. (Die wertvollen Qualitäten, die man in diesem Prozess entwickelt, sind als Potenzial in jedem Menschen bereits angelegt. Sie können deshalb auch ohne eine HIV-Infektion entfaltet werden.)

Selten schaffen Menschen dies ganz alleine und aus eigener Kraft. Deshalb lege ich auf Bedingung 5 besonderen Wert. Zu oft höre ich in meiner Beratungsarbeit von Suizidabsichten oder retrospektive von überlebten Suizidversuchen. Die HIV-Infektion generell als tödliche Krankheit darzustellen, treibt psychisch belastete und labile Menschen nach einer HIV-Diagnose in eine Ausweglosigkeit, die die Todesankündigung zu einer sich selbst erfüllenden Prohezeihung werden lässt.

Im Wissen der heutigen Therapiemöglichkeiten ist die Aussage, die HIV-Infektion sei eine „tödliche Krankheit“, realitätsverleugnend, stigmatisierend, nicht zielführend und damit sogar schädlich für die HIV-Prävention.


Suizid und HIV

Oktober 6, 2008

Eine HIV-Diagnose kann auch heute noch bei HIV-Positiven existentielle Erschütterungen auslösen und bis zum Suizid führen. Ein in 2003 mit HIV-diagnostizierter Mann erzählte mir in der entspannten Atmosphäre eines Kölner Szenelokals bei einigen Glas Kölsch seine Geschichte. Mich macht betroffen und traurig, dass auch heute noch, in den Zeiten der hoffnungsvollen Therapierbarkeit, durch eine HIV-Diagnose das eigene Leben so sehr als nicht mehr lebenswert erfahren wird.

Matthias – so nenne ich ihn hier – war 38 Jahre alt, als er im Jahr 2003 HIV-positiv getestet wurde. Wo er sich angesteckt haben könnte, ist ihm ein Rätsel. Safer Sex war sein Standard. Er kannte Freunde, die an AIDS erkankten und die er in ihrem langen Leiden und Sterben miterlebte.  Matthias hat viel erlebt. Als er nun selber seine HIV-Diagnose bekam, waren Matthias sofort diese alten Erlebnisse bildhaft vor Augen. Er sah auf sich den gleichen Leidens- und Krankheitsverlauf zukommen. Dies machte ihm Angst und diese Angst trieb ihn um. Als Ausweg sah er nur den Suizid.

Vier Wochen nach seiner HIV-Diagnose bereitete er seinen ersten Suizidversuch mit Tabletten vor. Alles war da, er trank sich einen guten Wein, und wollte dann die Tabletten einnehmen, als das Telefon klingelte und  ein guter Freund anrief. Dieser war aufmerksam und erkannte die Stimmungsveränderung an Matthias. Bei dem Freund gingen die Alarmglocken an und er spürte Matthias Suizidbereitschaft. Er sagte: „Ob es dir passt oder nicht: Ich ruf dich jetzt alle 15 Minuten an! Und wenn du nicht drangehst, rufe ich die Polizei! Du bringst dich NICHT um!“ Der Freund hat nicht locker gelassen und so hat Matthias diesen Tag überlebt.

Matthias stellte fest: so kriegt er das mit dem Suizid offenbar nicht hin. Der Gedanke, nicht mehr leben zu wollen, blieb weiter lebendig. Er überlegte sich einen andere Strategie: Auf seiner Arbeit machte er bewußt Überstunden, um sich danach 2 Tage frei zu nehmen, 2 Tage, an denen ihn keiner vermissen würde – und an denen er den Suizid ungestört schaffen könnte. Um sein Überstundenkonto schneller aufzufüllen, fakte er die Eintragung seiner Arbeitszeiten.

Diesmal war es eine vorgesetzte Kollegin, der diese Ungewöhnlichkeiten und Ungenauigkeiten auffiel: Sie  sprach Matthias direkt an und fragte, was denn eigentlich los sei. Matthias fasste Vertrauen, packte aus und erzählte ihr von HIV und von dem, was ihn so belastet. Die Vorgesetzte zeigte Verständnis, war bereit, über das Fehlverhalten hinwegzusehen und Matthias in seiner Lebenskrise ihm Rahmen ihrer Möglichkeiten zu entlasten und zu unterstützen. Beide wurden sich einig, wie Matthias den Schaden für die Firma wiedergutmachen konnte. Und Matthias sollte sich psychotherapeutische Hilfe holen.

Der Suizidgedanke lies ihn aber nicht los. Selber wollte er nicht so eine Leidenszeit erleben und aus eigener Erfahrung kannte Matthias ja auch die Belastung, die das sich Kümmern um kranke und sterbende Freunde für andere bedeutet. Dass ANDERE sich nun einmal ähnlich würden um IHN kümmern müssen, diese Belastung wollte er anderen Menschen nicht zumuten.

Matthias beschloss, einen Motorradführerschein zu machen. „Eigentlich, um mich dann mit 180 Sachen vor die Wand zu fahren,“ wie er sagt. Er meldete sich bei einer Fahrschule an und nahm Fahrstunden. Mit der Zeit kehrte aber genau über das Erlebnis des Motorradfahrens seine Lebenslust zurück. Das Leben begann, auch wieder schön zu werden.

Matthias suchte sich einen Psychotherapeuten und hat heute wieder Boden unter den Füßen. Aber trotzdem: bis vor kurzem hat er sich sehr eingeigelt und lebte zurückgezogen. Wenn Matthias neue Männer kennenlernte, ging er offen mit seiner HIV-Infektion um. Schmerzhaft erinnert er sich an kränkende und diskriminierende Reaktionen von Männern, die er kennenlernte auf der Suche nach einer festen Partnerschaft. Auch wenn zunächst seine HIV-Infektion kein Problem zu sein schien, passierte dann doch nach Wochen der Bruch und die Trennung. Da bekam Matthias z.B. diesen Spruch zu hören: „Du stirbst ja doch bald – und ich suche was Längeres für mein Leben.“

Heute ist Matthias froh, dass er am Leben ist, ja er freut sich richtig darüber. Er ist dankbar, dass die Menschen um ihn herum so konsequent-aufmerksam waren, ihn in seiner Suizidgefährung zu erkennen und zu reagieren. HIV hat sein Leben sehr verändert. Die allgemeine Lebens-Verunsicherung ist ihm noch anzumerken. Aber das Leben mit HIV gelingt ihm offenbar immer besser.

Eigentlich kennen wir uns noch gar nicht lange: Ein paar Male gechattet, gelegentlich in den Kneipen gesehen und auch schon mal ein Kölsch zusammen getrunken. Irgendwann kam dann auch HIV zur Sprache. Ich gehe ja auch selber offen mit meiner HIV-Infektion um und habe keine Scheu, direkt zu sein. Mein Outing macht es dann anderen auch leichter.

Wenn sich spontan solche Gespräche ergeben, wie an diesem Abend zwischen mir und Matthias in der Kneipe, dann erlebe ich die schwule Szene, die von manchen als oberflächlich und verletztend beschrieben wird, als Heimat und nicht als Horror. Auf schwule Kneipen als soziale Orte für Gemeinschaft und Freundschaft mag ich nicht verzichten. Ich lebe nach dem Motto: „Die Szene bist DU!“  Das wirkliche Leben spielt sich eben nur in der realen Welt ab. Und die will ich mitgestalten.

Vielleicht habe ich nicht alles ganz wirklichkeitsgetreu behalten, was Matthias mir erzählte. Ich mochte ihn auch nicht zu oft unterbrechen. Es gibt ja auch noch weitere Abende, und Kölsch wird täglich frisch gebraut. 🙂

An der Geschichte von Matthias wird mir bewußt, wie stark die Erinnerungen und die Bilder von unseren an AIDS gestorbenen Freunden in unserem persönlichen und kollektiven Gedächtnis eingegraben sind. Mir wird bewußt, wie spontan diese Bilder wieder lebendig werden, wenn Menschen plötzlich selber mit einer HIV-Diagnose konfrontiert sind. Und wie machtvoll diese inneren Bilder wirken. Und wie das Ermutigende und Hoffnungsvolle der heutigen Therapierbarkeit über den umfassenden seelischen Schmerz der HIV-Diagnose bei manchen nicht ausreichend hinweghelfen kann.

Wieviel versuchte Suizide und wieviel durchgeführte Suizide auf Grund von HIV mag es geben?


Chronisch versteckt – mit HIV zum Arzt

September 21, 2008

Da gibt es eine sehr schöne Tradition in Wuppertal: Unser Oberbürgermeister Peter Jung (CDU) läd, wie schon sein Vorgänger von der SPD, den Arbeitskreis Welt AIDS-Tag mit 2 Personen in seine Montags-Pressekonferenz ein, um unsere Veranstaltungen zum WAT den Medien- und Pressevertretern vorzustellen.

Erfreulich ist, dass hier in Wuppertal ein breites Bündnis den Veranstalterkreis bildet. Neben der AIDS-Hilfe Wuppertal sind dies die AIDS-Beratung und AIDS-Koordination im Gesundheitsamt, die AIDS-Prävention der AWO (Youthworker), Elterninitiative für akzeptierende Drogenarbeit, Drogenberatungsstelle, Kontaktstelle für Drogengebraucher „Gleis 1“, Arbeitskreis Kirche und AIDS, die Vereinte Evangelische Mission und die Psychosoziale Planung/Behindertemplanung der Stadt Wuppertal. Nur so bekommen wir die breite inhaltliche Palette der Veranstaltungen hin.

Zu der Pressekonferenz des Oberbürgermeisters gestern am 19.11. haben wir eine Pressemitteilung veröffentlicht, die in diesem Jahr die Aufmerksamkeit besonders auf den Umgang mit HIV in der Arztpraxis lenkt.

Viel zu wenig beachtet wird, dass nicht nur in der Allgemeinbevölkerung, sondern gerade auch in der Ärzteschaft eine kontinuierliche Sensibilisierung zu HIV und AIDS erforderlich ist. Unsere headline ist entsprechend deutlich:

Chronisch versteckt

Der „normale“ Umgang mit HIV-Positiven ist in der Arztpraxis immer noch eine Ausnahme

19.11.07 Zum Welt-AIDS-Tag (WAT) am 1.12.2007 appelliert der Wuppertaler Arbeitskreis Welt-AIDS-Tag an die Ärzte, bei der Mitteilung einer HIV-Diagnose sensibel vorzugehen, sich auf die Begegnung mit HIV-Positiven einzustellen und sich zu ihren HIV-positiven Patienten zu bekennen. Ärzte können gemäß des übergreifenden Mottos zum WAT „Gemeinsam gegen AIDS. Wir übernehmen Verantwortung!“ mitwirken, der „Unsichtbarkeit“ von HIV/AIDS entgegenzuwirken und einen entspannten Umgang mit HIV-Positiven beispielhaft vorleben. Und auch im Arzt-Patientengespräch gilt: Über Sexualität zu reden kann das Safer-Sex-Verhalten bestärken.

Hier gibts die komplette Pressemitteilung zu lesen.

Auf dem Positiventreffen im Waldschlösschen fand ich letzte Woche in Gesprächen mit HIV-Positven über ihre Erfahrungen mit Ärzten bestätigt, dass hier ein permanentes Konfliktfeld besteht. Alle geschilderten Begebenheiten haben sich in jüngster Zeit, also 2006 und 2007 zugetragen:

Herr K., ein HIV-positiver Mann berichtet, dass er wegen Tinnitus und Ohrenschmerzen zu einer HNO-Ärztin ging. Von seiner HIV-Infektion hatte er auf dem Fragebogen Mitteilung gemacht. Bevor die Ohrenärztin den Trichter zur optischen Inspektion des betroffenen Ohres benutzte, zog sie sich einen Mundschutz an. Der HIV-Positive fragte sie darauf hin direkt, warum sie dies täte. Sie antwortete, um sich vor HIV zu schützen. (Hallo, wer ist hier der Fachmann???)

Der gleiche Mann berichtet, dass ein Zahnarzt ihm gesagt hätte, nach der Behandlung von HIV-Positiven müsse er seine Praxis immer desinfizieren. (Hallo??? Kann ich da als HIV-Positiver wirklich dem Hygienestandard dieser Praxis vertrauen? Wer weiss, was MIR da für Bakterien und Viren in den Mund transportiert werden???)

Jetzt sagt Herr K: „Ich habe beschlossen, meine HIV-Infektion beim Arzt nicht mehr mitzuteilen, weil ich diese diskriminierenden Erfahrungen nicht mehr erleben möchte.“ (Das hören und lesen dann Ärzte aber gar nicht gerne. Aber das Arzt-Patientenverhältnis muss doch von BEIDEN Seiten aus vertrauensvoll gestaltet werden!!)

Für Herrn U. waren die unangemessenen Reaktionen und die Unaufgeklärtheit der Ärzte ein Grund, seinen Wohnort aus Süddeutschland nach Berlin zu verlegen. „Ich war diese Reaktionen einfach leid.“

Herr O. musste sich im Krankenhaus an einem Wochenende notfallmäßig behandeln lassen. Nach der Akut-Behandlung sagte der Arzt, Bezug nehmend auf die zuvor mitgeteilte HIV-Infektion: „Bei Ihnen dauert die Heilung ja sowieso länger.“ Herr O. reagierte empört: „Wie können Sie so etwas sagen, ohne meine Immunwerte zu kennen?“ Mit diesem selbstbewußten Auftreten konnte der Arzt offenbar nicht umgehen, die Behandlung wurde von einer Krankenschwester beendet. Herr O. weiss, dass er trotz HIV-Infektion einen ungewöhnlich fitten Immunstatus hat.

Ein anderer HIV-Positiver wurde als Patient in der Notaufnahme akut behandelt. Nach der Behandlung fragte der Arzt: „Haben Sie noch andere Erkrankungen?“ Darauf antwortete der Patient: „Eigentlich nicht, aber ich bin HIV-positiv.“ „An seiner Reaktion merkte ich, wie dem Arzt dann die Panik in die Augen stieg.“

Eine Kollegin in der Online-Beratung der AIDS-Hilfen berichtet, dass in ihrer Stadt der HIV-Arzt grundsätzlich (aus falschem Schutzverständnis) den Positiv-Getesteten empfiehlt, nicht zur örtlichen AIDS-Hilfe Kontakt aufzunehmen mit der Begründung, da könnten sie ja von anderen gesehen werden. Er empfiehlt die Kontaktaufnahme zu einer AIDS-Hilfe in der nächsten Großstadt. –
Fachlich angemessen wäre es, als Arzt mit seinen Patienten zu besprechen, wie diese es erleben würden, wenn sie in der AIDS-Hilfe auf bekannte Gesichter stoßen würden, die Entscheidungsfähigkeit den Patienten nicht abzusprechen und mit diesem gemeinsam zu überlegen, welche Beratungsstelle für sie die geeignetste sein könnte.

Ich glaube, diese Liste von Erfahrungen ist endlos, wenn alle ihre Erlebnisse aufschreiben würden.

Glücklicherweise gibt es auch Ärzte, die fachlich und auch menschlich fit sind, mit HIV-Positiven ganz normal umzugehen. Es wird heute so viel von der „Normalisierung“ von HIV gesprochen. Aber in der Arztpraxis und im Krankenhaus ist von dieser angeblichen Normalisierung oft aber auch nicht ein Fitzelchen zu spüren. Und das muss zum Welt-AIDS-Tag auch mal gesagt sein!

********************************************************

Dieser Beitrag wurde erstmals von mir gepostet am 20.11.2007 im damals bestehenden Blog der Kampagnenseite www.welt-aids-tag.de. Leider wurde der Blogbereich dort im Juli 2008 komplett abgeschaltet. Auf vielfachen Wunsch mache ich meine alten Beiträge hier wieder zugänglich.


Test-Geschichten

September 21, 2008

Warum macht man eigentlich einen HIV-Test? Jeder hat hier eine persönliche Geschichte. In der Telefon- und Online-Beratung, auch von HIV-Positiven, höre ich sehr unterschiedliche Beweggründe. Hier ist meine Geschichte. Wie ist Deine?

Manchmal ist es auch der Arzt, der den HIV-Test anregt. Dass der HIV-Test „positiv“ ausfallen könnte, haben fast alle in der Zeit zwischen Blutabnahme und Ergebnismitteilung verdrängt. Man kann und will sich das einfach nicht vorstellen.

Manche wollen sich über den HIV-Test bestätigen lassen, dass sie weiterhin „HIV-negativ“ sind. Das negativ-sein kann eine Bestätigung sein, selbstbewusst weiterhin Safer Sex zu machen.

Andere machen einen Test, nachdem sie selber oder ihr/e Partner/in fremdgegangen sind. Ein negativer Test kann dann ein Baustein sein, die Krise einer Beziehung zu überwinden.

Und bei Schwangerschaften soll Frauen immer ein HIV-Test angeboten werden. Den HIV-Test in dieser Situation zu machen, stelle ich mir auch nicht einfach vor.

Auch höre ich immer wieder, dass Menschen gezielt zum HIV-Test gehen, nachdem sie Safer Sex mit jemandem hatten, der ihnen danach mitteilte, dass er/sie HIV-positiv ist. Die erste persönliche sexuelle Aktion mit HIV-Positiven wird fast immer als stark verunsichernd erlebt. Sehr oft erfolgt erst dann eine echte Auseinandersetzung damit, was man sexuell so treibt, werden die Risken bewußt, die man eingeht und wird einem klar, was leben mit einer HIV-Infektion bedeutet.

Mein eigener HIV-Test erfolgte während eines Krankenhausaufenthaltes. Ich hatte eine ungewöhnlich lang verlaufende Hepatitis-A Infektion, weswegen ich dann ins Krankenhaus ging. Bei der Aufnahme wurde ich gefragt, ob ich auch mit einem HIV-Test einverstanden bin. Das kam mir gerade recht, da ich schon immer einen HIV-Test machen wollte und mich bisher immer drumrum gedrückt hatte. Mit meinem Hausarzt hatte ich bis dahin noch nicht über mein Schwul-sein gesprochen. Ich hatte die Fantasie, wenn ich ihm sagen würde, dass ich bei ihm einen HIV-Test machen lassen wolle, dass er mich dann nach dem Warum? fragt. Das war mir damals unangenehm. Daran, den Test auch bei der AIDS-Beratungsstelle im Gesundheitsamt zu machen, hatte ich nie gedacht. Da ich – auch gerade aus Angst vor einer Ansteckung mit HIV – bis dahin sehr wenige sexuelle Beziehungen hatte und noch weniger wirkliche Ansteckungsrisiken erlebt hatte, lag die Möglichkeit eines „positiv“-Ergebnisses für mich nur im minimal-theoretischen Bereich. In der Wartezeit war ich daher nicht sonderlich beunruhigt. Nach der Diagnose habe ich als erstes meine beste Freundin angerufen. Ich war völlig durch den Wind, im Kern getroffen und verunsichert. Dass ich den HIV-Test machen ließ, habe ich nie bereut.

Was waren Deine Gründe, einen HIV-Test zu machen?

Schließe hier Deine persönliche Geschichte – oder auch Geschichten – zum HIV-Test an. Ich bin sehr gespannt, zu erfahren, wie unterschiedlich eure Lebenssituationen sind, in denen ihr zum Test gegangen seid. Ihr alle habt viel mitzuteilen. Auch die, die bisher keinen HIV-Test gemacht haben. Macht mit!

********************************************************

Dieser Beitrag wurde erstmals von mir gepostet am 19.10.2007 im damals bestehenden Blog der Kampagnenseite www.welt-aids-tag.de. Leider wurde der Blogbereich dort im Juli 2008 komplett abgeschaltet. Auf vielfachen Wunsch mache ich meine alten Beiträge hier wieder zugänglich.