Der AIDS-Tod von Michael Westphal und die Michael-Stich-Stiftung (akt.)

Am 20.6.1991 stirbt Tennisprofi Michael Westphal im Alter von nur 26 Jahren an Aids. In der Öffentlichkeit wird über die Todesursache Aids spekuliert, es bleibt aber lange unbestätigt. Erst 10 Jahre nach seinem Tod äußert sich seine damalige Lebenspartnerin Jessica Stockmann: „Ich habe versprochen, zehn Jahre zu schweigen und gegen AIDS zu kämpfen.“

Michael Stich ist zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre alt und hat sich bereits in die Weltspitze der Tennisprofis emporgearbeitet. 1990 gewann Stich sein erstes Grand-Prix-Turnier. 1991 gehörte er zur Top 10 der Weltrangliste.  Michael Stich verliert mit Michael Westphal einen Tenniskollegen an AIDS.

Die HIV-Infektion wird bei Michael Westphal 2 ½ Jahre vor seinem Tod festgestellt. Zu dieser Zeit ist Jessica Stockmann schon einige Jahre mit ihm liiert. Sie muss befürchten, sich angesteckt zu haben. Ein HIV-Test zeigt aber, dass sie sich nicht mir HIV angesteckt hat. Eine wirksame HIV-Therapie gibt es Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre noch nicht. Die heutigen HIV-Medikamente (2010) hätten Michael Westphal sehr wahrscheinlich stabilisiert und hätten seinen Tod verhindern können. Damals aber war eine HIV-Diagnose eine Todesankündigung, erst recht nach Erreichen des Vollbildes AIDS, das offenbar bei Michael Westphal mit der Diagnosestellung einherging.

1988/89, als Michael Westphal und Jessica Stockmann von seiner HIV-Infektion erfahren, herrscht in der Gesellschaft eine große Aufregung und Angst vor der todbringenden HIV-Infektion und als Reaktion entsteht ein aggressives Klima gegenüber HIV-Positiven. Kurz zuvor, 1987, hatte die offensive Information und Aufklärung der bundesdeutschen Gesellschaft mit der Kampagne der BZgA „Gib AIDS keine Chance“ begonnen. Erst die Erfolge der HIV-Prävention, die Fortschritte in der Therapieentwicklung und die nur moderaten Neuinfektionszahlen in den folgenden 25 Jahren führen zu einem langsam sich entspannenden Umgang mit HIV und den mit HIV lebenden Menschen in der deutschen Gesellschaft.

1992, ein Jahr nach dem Tod von Michael Westphal, heiraten Jessica Stockmann und Tennisprofi Michael Stich. 1994 gründen beide die „Michael Stich-Stiftung“. Sie geben der Stiftung die Zielsetzung, sich für HIV-infizierte Kinder einzusetzen.

Es ist naheliegend, zwischen beider Engagement in Sachen HIV und AIDS und  ihren Erfahrungen um die HIV-Infektion und den AIDS-Tod des ihnen nahestehenden Michael Westphal einen Zusammenhang zu sehen. Offiziell dürfen sie dies aber zunächst nicht zeigen, da sie sich an das zweiteilige Versprechen gebunden sehen, über die Verknüpfung Michael Westphal / AIDS sowohl „zehn Jahre zu schweigen“, aber auch „gegen AIDS zu kämpfen“.

Die Schilderung ihres persönlichen Trauerweges lässt ahnen, wie schwer es für Jessica Stockmann war, den Verlust ihres Lebenspartners zu bewältigen und nicht offen die AIDS-Erkrankung ansprechen zu können.

Wann und unter welchen Umständen Michael Stich von der HIV-Erkrankung seines Tenniskollegen Michael Westphal erfuhr und ob sich Michael Stich auch zu seinem eventuellen Miterleben der HIV-Infektion von Michael Westphal und seiner – ab 1992 – Ehefrau Jessica Stockmann-Stich geäußert hat, ist mir nicht bekannt. Ich respektiere es, wenn beide dies ihrer Privatsphäre zurechnen.

Läge die wahre Motivation zum Start der Michael-Stich-Stiftung 1994 aber viel näher bei der Person Michael Westphal begründet, wäre retrospektive verständlicher, warum diese Stiftung sich auf HIV-infizierte Kinder in Deutschland konzentriert, obwohl diese auch schon Unterstützung durch die Deutsche-AIDS-Stiftung erhalten können und die Zahl HIV-betroffener Kinder in Deutschland sehr klein ist: Das Michael Westphal gegebene Schweigeversprechen musste gehalten werden.

Angesichts der nun wieder neu startenden – und von vielen Menschen mit HIV als provozierend und diskriminierend erlebten – Posterkampagne der Michael-Stich-Stiftung sei aber die Frage erlaubt, wie die von Herrn Stich gewählten Aktivitäten mit seinen persönlichen Erfahrungen mit HIV und AIDS in einem Zusammenhang zu sehen sind.

Das Engagement von Michael Stich in Sachen HIV und AIDS könnte ich als einen persönlichen Bewältigungsweg seiner Erfahrungen mit HIV verstehen. Menschlich wäre mir das nachvollziehbar. Ich kann mir vorstellen, dass in einem jungen Lebensalter von Anfang 20 der AIDS-Tod seines Tenniskollegen auch Michael Stich persönlich berührt hat. (Außerdem war damals auch Arthur Ashe, ein US-amerikanischer Tennisspieler an AIDS erkrankt und starb 1993.)

Unabhängig davon lehne ich die sich in der Kampagne der Michael-Stich-Stiftung verwendeten generellen Aussagen: „AIDS ist tödlich“ oder: „Wer sich mit HIV infiziert, wird daran sterben“ als die Realität nicht korrekt beschreibend und daher kontraproduktiv ab.

Denn: „HIV ist nicht mehr tödlich, Leben mit HIV ist möglich„.

Ich halte die Aussagen auf den Plakaten der Michael Stich-Stiftung sogar für äußerst unglücklich, weil sie die individuellen Leiderfahrungen von Menschen mit HIV und ihrer Angehörigen chronifizieren und kein gesellschaftliches Klima zum offenen Reden über HIV befördern.

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Nachtrag vom 21.2.2010:

Zum 45. Geburtstag von Michael Westphal am19.2.2010 produziert der WDR-Hörfunk einen Beitrag in der Reihe „Stichtag“. Darin enthalten sind einige Statements von Zeitzeugen mit Sachinformationen, die zu diesem Blogbeitrag passen:

Jessica Stockmann: „Es war halt meine erste große Liebe. Ich war 15, er war 17…“

Sportjournalist Heribert Faßbender: „Es gab Gerüchte, er sei an Aids erkrankt, das wurde aber sehr! hinter der vorgehaltenen Hand gesagt.“

(Erkennbar Boris Becker): „Das gab’s bei uns Sportlern eigentlich nicht. Dass einer von uns, nicht durch die Spritze infiziert, nicht homosexuell, wie man das oft behauptete, sondern einfach durch Geschlechtsverkehr mit einer Frau infiziert wurde, war ein riesiges Schockerlebnis.“

Moderatorin: Michael Westphal soll sich mit 16 Jahren bei einer drogensüchtigen Mitschülerin infiziert haben.

Jessica Stockmann: „Heute würde er noch leben. Aber das war Ende der 80er. Da hatte man die ganzen Medikamente noch nicht. Und heute lebt man damit noch 20, 30 Jahre. …“

Der podcast zu diesem „Stichtag“ ist vom WDR online gestellt.

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3 Responses to Der AIDS-Tod von Michael Westphal und die Michael-Stich-Stiftung (akt.)

  1. richie sagt:

    Das heisst doch, dass diese vermeintlichen Schockkampagnen den Boden für neue Infektionen erst bereiten,oder?

  2. termabox sagt:

    In der Tat, Schockkampagnen chronifizieren die Angst vor einer Ansteckung und damit vor einer persönlichen Konfrontation mit dem ganzen Thema. Mit etwas, das Angst macht, will man doch nichts zu tun haben, da vermeidet man auch den HIV-Test. Und Schockkampagnen helfen deshalb u.a. nicht, die Dunkelziffer von 30% unerkannten HIV-Infektionen – und daher unbemerkt fortlaufenden Infektionsketten – in Deutschland zu senken.

    Neben all dem präventionspolitischen Streit ging es mir darum, auch einen Blick auf das schicksalhafte zu werfen, was die Motivation jedes Einzelnen, der sich zu HIV engagiert, mitbestimmt.

  3. richie sagt:

    Es ist wohl die Erfahrung der eigenen Verletzbarkeit. Aber die muss ja nicht den Verstand für so lange Jahre blockieren? Es sei denn…da war gar keiner.
    Vielleicht sollte man Stich ja mal schocken damit er seinen Mist einstellt. Er glaubt ja wohl am meisten an die Wirkung von Schocks.

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