Ist der Lack erst ab – Schwulsein jenseits des Jugendwahns

Älter werden als schwuler Mann, dieser Lebenssituation widmete der Deutschlandfunk am 17.07.09 eine 90-minütige Radiosendung, die als podcast gehört werden kann und auch zum download bereit steht.

Unter anderem ging darum: Wie kann ein gutes Leben als Schwuler im „herangerückten Alter“ aussehen? Wie kann Lebensqualität und erfülltes Leben gelingen? Wer kann als Vorbild dienen und was kann Orientierung geben?

Ein zugeschalteter Hörer meinte: „Ältere Schwule befinden sich alle noch in einem sozialen Experimentierfeld. Und zwar deswegen: Es gibt keine Altersbilder für uns und die müssen erst noch entstehen.“

„So wie wir uns die Emanzipation erarbeitet haben, als selbstbewußte Schwule und Lesben, so müssen wir anfangen, uns dieses Vorbild zu erarbeiten.“

Bernd Volger, Studiogast, dazu: „Ich frage mich gerade, ob ich ein Vorbild brauche. Ich glaube, ich brauche es nicht. Ich habe überhaupt keine Angst vor dem älter-werden. Ich weiß nicht, wie es ist, wie ich später lebe. Ich weiß nur, daß ich ein soziales Netz habe, und daß ich überhaupt keine Befürchtungen habe, egal in welche Situation ich komme, daß Menschen für mich da sind, wenn ich sie benötige. Und deshalb kann ich jetzt zu meinem Alter so stehen, wie es ist.“ – „Es ist wichtig, daß ich mit mir selbst im Klaren bin, daß ich nicht unter Druck stehe.“

Ich selber gab auf dem Kölner CSD Statements ab, die als O-Töne in die Sendung Eingang fanden:

„Ich möchte einfach mein alt-sein und älter-werden als schwuler Mann selbst definieren. Ich möchte den Jugendlichen ihre Jugendlichkeit auch nicht neiden, aber ich glaube, es braucht Ideen, da auch ein eigenes Selbstbewußtsein als älterer schwuler Mann zu entwickeln. Wie das aussehen kann, weiß ich selber nicht. Ich glaube, wir sind eine Generation, die das einfach erfinden muss.“

„Es ist einfach die Situation, dass so wenig Strukturen da sind für schwule Männer, wenn sie denn jenseits der 50 sind:  Also wenn man nicht so in der kommerziellen Szene ausgehen will, wenn man nicht so viel abends unternehmen will sondern mehr Lust hat, tagsüber was zu unternehmen weil es einfach mehr dem eigenen Lebensgefühl entspricht. Da gibt’s recht wenig. Und da, glaub ich, fehlt es schon auch an Einrichtungen oder irgendwelchen Gruppierungen, oder irgendwelchen Ideen, was da an neuen Strukturen sich einfach bilden muß. Das ist einfach jetzt noch nicht da, aber ich hab für mich selber das Bedürfnis, da muss… da muss irgendwas Neues entstehen.“

In der Sendung wurde dargestellt: die schwulen Seniorengruppen sind etwas anderes als das traditionelle Bild von Hetero-Senioren-Kraffeekränzchen.

Ich merke, dass ich genau vor so etwas Horror habe, diese Kaffekränzchen-Athmosphäre auch in schwulen Gay&Gray-Gruppen anzutreffen. Für viele mögen sie wichtig sein und haben ihren Sinn, um Gemeinschaft zu finden und Selbstbewußtsein zu stärken. Meine Bedürfnisse gehen darüber hinaus: Ich bin ein Mann der Stonewall-Generation, habe seit meinem Coming Out immer offen schwul gelebt, bin an Gesellschaft und der schwulen Szene interessiert und habe sie mitgestaltet. Ich habe immer ein kreatives schwules Leben gelebt, habe andere inspiriert und bin von anderen inspiriert worden. Genau das ist für mich Lebensqualität.

Sport, Wandern, Gay&Gray oder Golden Gays reichen mir persönlich nicht. Meine Vision vom Leben als schwuler Senior mit 70 ist, dass ich dieses kreative und inspirierende Leben, und damit meine ich gerade auch die politische Debatte miteinander hautnah am persönlich-biografischen Puls, zusammen mit anderen schwulen Männern mein Leben lang weiter erleben will.

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Lesenswert zum Thema auch ein Vortrag von Johannes Wahala von 2005: „Homosexualität und Alter„, sowie weitere Literaturtips und Berichte zum Thema zu finden auf der oben angegebenen Seite des DLF.

Und noch ein Veranstaltungstip für die Kölner: „Gold + Eden„, eine generationenübergreifende Theater-Collage über lesbische und schwule Lebenswelten. Fr, 9.10.; Sa, 10.10., jeweils 20.00 Uhr und So, 11.10. um 18 Uhr:

Das Paradies auf Erden für Eva & Eva, Adam & Adam? Wo sind die goldenen Zeiten im Leben älterer Schwuler und Lesben? Wartet hinter oder vor dem Busch das Glück? Wer reitet auf dem Regenbogen? Und was sagt die Schlange dazu?
Mit Witz und Ernst richten 13 Kölner Lesben und Schwule zwischen 38 und 79 Jahren Blicke auf den Garten Eden und verführen das Publikum in die Lebenswelten und Sichtweisen älterer Lesben und Schwuler – in deren Jugend männliche Homosexualität noch ein Straftatbestand nach § 175 StGB war und Lesbisch-sein als absoluten Tabu in der Gesellschaft galt.

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