„Als der Arzt sagte: „… positiv!“ – da hörte bei mir das Denken auf…“

Zu mir in die Beratung kommen zwei junge Männer, einer 19 Jahre alt, wie ich später erfahre, den anderen schätze ich 7-10 Jahre älter. Sie sind ein Paar und das wird auch deutlich: sie setzen sich nebeneinander, aber da ist auch genug Luft und gegenseitige Achtung der Autonomie zwischen beiden. Sie sind Max und Lars. Über das „Du“ brauchen wir uns nicht zu verständigen, das liegt schon in der Luft.

Ich frage sie, was ich für sie tun kann. Max antwortet sofort. Vor wenigen Tagen hat er sein HIV-positives Testergebnis bekommen. Und da gibt’s jetzt viele Fragen, trotz surfen und sich fit machen im Internet. Es sei Zeit gewesen, sich jetzt Beratung in einer AIDS-Hilfe zu holen. Mir ist als Berater sofort klar: da brauchen wir etwas länger Zeit zum reden. Für die beiden hole ich erst Kaffee und für mich eine Tasse Tee. So sind wir gut versorgt und können loslegen.

Ich lade ein, doch noch einmal ganz von vorne zu erzählen, lasse mir vieles berichten, höre viel zu und frage auch nach. Die Mitteilung einer HIV-Diagnose ist immer eine Zäsur im Leben. Es gibt dann ein „davor“ und ein „danach“. Ob man gleich von Anfang an auf unterstützende Menschen, oder ob man auf abweisende Menschen trifft, hat in meinen Augen einen hohen Stellenwert dafür, wie es gelingt, mit HIV leben zu lernen.

Und dies ist jetzt die Geschichte von Max und Lars:

Bei einem eher normalen Besuch bei seinem Hausarzt, wo ein Blutbild gemacht werden soll, ergreift Max gegenüber dem Arzt die Initiative: „Und einen HIV-Test machen wir dann auch gleich mal…“ Befürchtungen, HIV-positiv zu sein, hat er eigentlich nicht. Den Test macht er „einfach so… Man hört ja so viel und da wollte ich auch Bescheid wissen.“ Es ist sein erster HIV-Test.

Einfach immer Kondome benutzen, damit war HIV/AIDS in beider Vergangenheit abgehakt und kein weiteres Thema. Vor ihrer Beziehung haben beide immer Safer Sex beachtet. Lars und Max sind jetzt seit über einem Jahr ein Paar. Als sie zusammenkamen, haben sie zuerst Sex mit Kondom immer selbstverständlich. Dann haben sie sich darüber unterhalten, ob es denn wirklich nötig sei, beim gemeinsamen Sex Kondome zu benutzen. Als sie sich gegenseitig berichteten, dass Safer Sex für sie beide immer der Standard war und sie sich an konkrete Situationen mit Ansteckungspotenzial nicht erinnern könnten, war das Thema durch und die Kondome blieben in der Schublade. „Sex ohne Gummi ist einfach schöner.“

Als Max wieder zum Arzt in die Sprechstunde kommt, gehen beide ins Behandlungszimmer. Max sieht den farbigen Vermerk „HIV-positiv“ in seiner Patientenakte noch bevor der Arzt etwas sagen konnte. Die spontane Reaktion von Max: „…Na toll !…“ Seinen Arzt erlebt er als zugewand und freundlich. Es stellt sich heraus, dass Max nicht der erste HIV-Patient, sondern schon der Dritte in dieser Arztpraxis ist, dem ein positiver Test positiv mitgeteilt wird.

Aber eigentlich kann sich Max nicht wirklich an vieles erinnern, was der Arzt dann zu ihm sagte. Nach dem „…positiv…“ setzte sein Denken und seine Wahrnehmung aus. Max ist wie betäubt. Was der Arzt sagte, „das ging bei mir zu einen Ohr rein und zum anderen wieder raus.“ Sein erster klarer Gedanke ist sofort: „Und was ist jetzt mit Lars?“

Er verläßt die Arztpraxis mit einem neuen Termin. Die folgende Stunde ist Max fix und fertig, da ist nur Krise. Dann fängt er sich wieder. „Kopf in den Sand stecken is nich… irgendwie muss es ja weitergehen.“ Er ruft seinen Freund an, der kann sich eine Pause auf der Arbeit nehmen und die beiden treffen sich und reden miteinander. Bei Max fliessen jetzt Tränen. Dass Lars da ist, tut ihm gut. Lars ist auch überrascht von der neuen Situation. Er rechnet fest damit, jetzt auch HIV-positiv zu sein.

Ganz schnell bekommt Lars einen Termin bei dem gleichen Arzt und macht auch einen HIV-Test. Einen Tag später ist das Ergebnis schon da: „HIV-negativ“. Lars ist ganz verwundert, denkt: Das kann doch gar nicht sein. Aber es stimmt.

Die nächsten Tage verbringen sie damit, sich Infos ranzuholen, surfen im Internet, lesen viel, aber da bleiben auch Fragen offen. Die Frage von „Schuld“ stellt sich für beide nicht, fremd gegangen war keiner. Die größte Sorge von Lars ist: „Was kommt jetzt auf uns zu, wenn Max die HIV-Medikamente nehmen muss?“ Die oft auftretenden Nebenwirkungen machen Angst. Sie beschliessen, zur AIDS-Hilfe Wuppertal zu gehen.

Und da sind sie nun, vor mir. Viele Infos und Erläuterungen, die ich geben kann, erleben sie als hilfreich: Wie verläuft die HIV-Infektion, welche Stadien gibt es, wie funktioniert die HIV-Therapie. Crash-Kurs in Sachen AIDS. Ich erkläre, dass bei Max jetzt erst Blutuntersuchungen laufen werden, um zu schauen, in welchem Zustand sein Immunsystem ist. Da er keine akuten Symptome hat, ist eher zu erwarten, dass er noch keine HIV-Medikamenten braucht. Das erleichtert beide sehr.

Meine Frage an Max, wo er denn meint, sich angesteckt zu haben, ist für ihn unbedeutend. „An der HIV-Diagnose ändert das ja eh nichts mehr.“ An Risikosituationen kann er sich konkret nicht erinnern. Es ist gut möglich, dass Max schon HIV-positiv war, bevor er Lars kennenlernte. Dann wäre die akute HIV-Infektion, also die Phase, in der die Virusvermehrung im Körper sehr aktiv ist und damit auch das Übertragungsrisiko auf andere extrem hoch ist, schon vorbei gewesen. Das ist eine mögliche Erklärung dafür, warum Lars HIV-negativ geblieben ist.

Mir ist es wichtig, den beiden Wege und Orte aufzuzeigen, wo sie Hilfe und Unterstützung finden können. Zum Beispiel auf den bundesweiten Positiventreffen, die von www.positiv-ev.de veranstaltet werden. Landesweite Positiventreffen in NRW gibt es auch. Infos dazu gibt’s bei www.posithivhandeln.de , der landesweiten Kampagne zur Unterstützung der Positiven-Selbsthilfe der AIDS-Hilfe NRW. (www.nrw.aidshilfe.de)

Auch für Lars als Partner gibt es Unterstützung im Netzwerk der Angehörigen von Menschen mit HIV und AIDS www.angehoerige.aidshilfe.de. Im Tagungshaus Waldschlösschen bei Göttingen (www.waldschloesschen.org) werden in Kooperation mit der Deutschen AIDS-Hilfe auch Treffen für Paare veranstaltet, wo ein Partner HIV-positiv und der andere HIV-negativ ist. Da könnten sie beide zusammen teilnehmen. Im medizinischen Fachjargon nennt sich ihre Situation „diskordantes Paar“. Die Amerikaner haben dafür einen für mich viel sympathischeren Ausdruck: Sie sprechen von einem „magnetic couple“, einem „magnetischen Paar“. Ein Magnet hat ja zwei Pole, einen Plus-Pol und einen Minus-Pol. Und zwei Pole gehören einfach zusammen. So begegnen mir auch Max und Lars: Sie halten zusammen wie ein Magnet, HIV wird ihre Beziehung nicht sprengen und ihr Liebe füreinander ist stark.

Ich lade Max und Lars ein, mit mir in Kontakt zu bleiben. Mich interessiert, wie es bei ihnen weitergeht. Gerne lassen sie mir ihre Anschrift und Emailadresse da, um den monatlichen Rundbrief für Menschen mit HIV, den wir von der AIDS-Hilfe mit Berichten, Veranstaltungshinweisen und sozialrechtlichen Informationen an HIV-Positive verschicken, zu bekommen.

Die beiden sind wieder weg. Ich nehme mir eine ganze Stunde Zeit, über unsere Begegnung noch einmal in Ruhe nachzudenken und unser Gespräch nachwirken zu lassen. Die beiden sind mir sympathisch und ich habe viel Zutrauen, dass sie es schaffen, mit dem HIV bei Max klarzukommen. Aber trotz aller guten positiven Einstellung wird es da wohl auch bei Max stimmungsmäßig rauf und runter gehen, denke ich mir. Und bei Lars wohl auch. So einfach steckt man eine HIV-Diagnose nicht weg, das braucht einfach mehr Zeit, auch wenn das Leben erst mal weitergehen muss.

Übrigens habe ich beide gefragt, ob ich diese story hier im Blog veröffentlichen darf und sie haben zugestimmt.

********************************************************

Dieser Beitrag wurde erstmals von mir gepostet am 02.10.2007  im damals bestehenden Blog der Kampagnenseite www.welt-aids-tag.de. Leider wurde der Blogbereich dort im Juli 2008 komplett abgeschaltet. Auf vielfachen Wunsch mache ich meine alten Beiträge hier wieder zugänglich.

3 Responses to „Als der Arzt sagte: „… positiv!“ – da hörte bei mir das Denken auf…“

  1. alf sagt:

    Was Du schreibst aus dem Gespräch mit den beiden klingt ja sehr authentisch und glaubwürdig. Max musste wahrscheinlich die schmerzhafte Erfahrung machen, dass safer sex eben keine 100%tige Sicherheit darstellt. Gut dass die beiden zu Dir gefunden haben.

  2. […] Immer wieder einmal höre ich von Menschen mit HIV, dass auch ihre Diagnosemitteilung nicht in einem angemessenen und ihem Selbstwert gerecht werdenden Gespräch erfolgte. Viele erleben sich abgespeist und alleine zurückgelassen. In der Regel ist man bei so einer beängstigenden Diagnose nicht in der Lage, sich direkt gegen diese Art des Umgangs zu wehren. Zu sehr ist man in diesem Moment mit dem eigenen Chaos beschäftigt. […]

Hinterlasse eine Antwort zu alf Antwort abbrechen